Auf Sonne folgt Regen

Stell dir vor, du betest und erfährst Gott. Vielleicht spricht er zu dir, du hörst seine zärtliche Stimme, du wirst im Herzen angerührt, und spürst eine immense Freude und ein überfließendes Glück. Es kann auch sein, dass du die Gegenwart Gottes als sanftes, leises Säuseln (vgl. 1 Könige 19,12) wahrnimmst, als zärtliches Pulsieren, als ein Fließen in deinem Inneren. All das sind Hinweise, dass du Gott erfährst und ihm begegnest.

Gipfelerfahrungen

Was wäre unser Glaubensleben ohne diese beglückenden Momente der Gotteserfahrung! Stell dir vor, du bist einem Gebirgspfad für einige Stunden gefolgt und erreichst erschöpft aber glücklich den Gipfel mit seinem Kreuz. Über dem blauen Himmel thront majestätisch die Sonne und wärmt dein Gesicht, das du ihr voller Wonne entgegenhältst.

Gott ist gut

Dieser Moment ist ein absolutes Gnadengeschenk und ich bin immer wieder überwältigt, wie gut und barmherzig dieser Gott ist, wenn er sich Menschen so offenbart. Welche Erlebnisse es auch sind, sie haben alle gemeinsam, dass du erfährst, weißt und spürst: Gott ist jetzt da!

Ich werde ja mit dir sein

Gott wird dir zusprechen, was er Mose zugesprochen hat. Im zweiten Buch Mose Kapitel 3 erfahren wir von Moses Berufung. Gott erscheint ihm im brennenden Dornbusch und will ihn zum Pharao senden, um von diesem die Freiheit des Volkes Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft zu fordern. Doch Mose zögert: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten führen könnte?“ (3,11). Doch Gott antwortet ihm: Ich werde mit dir sein.

Gott allein genügt

Wer Gott erfährt, der kennt wahres Glück, denn Gott nahe zu sein ist Glückseligkeit (vgl. Psalm 73,28). Es gibt nichts Beglückenderes als ein Gott, der sich zeigt.

Auf Sonne folgt Regen

Angenommen du hast Gebetserhörung erfahren, standest ganz oben am Gipfel, hast die Sonne genossen, die über den Berggipfeln strahlte. Dir verschlug es die Sprache und du warst überglücklich. Wenn du dich abends schlafen legst, denkst du dir: Was für ein Tag! Was für eine Gnade, die mir heute geschenkt wurde!

Wo bist du?

Am nächsten Morgen zeigt sich ein anderes Bild. Du betest und bist voller Vorfreude. Doch dieses Mal spürst du im Vergleich zu gestern, fast nichts. Gott bleibt verborgen. Welch großer Schmerz! Gestern war doch alles so genial! Und jetzt? Nichts als ein verregneter, wolkenverhangener Tag! Keine Prophetie, kein überfließendes Herz, keine Erleuchtung. Nur dunkle Nacht. Hier habe ich bereits über das Phänomen der dunklen Nacht der Seele geschrieben, die ganz ähnliche Parallelen aufweist.

Ein verborgener Gott

Doch vielleicht ist das ein Trost für dich, wenn ich dir sage: Das geht uns allen so. Denn es ist beinahe ein irdisches Gesetz: Dass Gott auch abwesend sein kann. So funktioniert die Beziehung zu Gott: Es gibt Höhen und Tiefen, wie in jeder zwischenmenschlichen Beziehung. Es gibt Zeiten der Nähe und Zeiten der Abwesenheit. Selbst unsere Liebsten auf Erden sind nicht 24/7 bei uns.

Jeanne-Marie Guyon (1648-1717), auch bekannt als Madame Guyon, entwickelte eine geistliche Lehre des inneren Gebets, und schreibt von der Trockenheit, also der Empfindung der Gottesferne:

Da Gott kein anderes Verlangen hat, als sich der Seele, die ihn liebt und suchen will, zu schenken, verbirgt er sich des Öfteren, um sie aus ihrer Bequemlichkeit zu wecken und dahin zu bringen, dass sie ihn mit Liebe und Treue sucht.[1]

Gott bezweckt also etwas. Er will uns aus unserer Bequemlichkeit führen. Wir sollen immer weiter nach ihm suchen und dabei auf unserem Glaubensweg wachsen und reifen. Vielleicht fragt sich Gott auch, ob wir ihm treu sind, auch wenn nicht alles optimal läuft. Oder ob unser Herz wankelmütig ist, und unsere „Glaubensflamme“ bei ein wenig Gegenwind sofort erlischt. Es ist in jedem Fall eine Prüfung, die wir durchstehen müssen. Was rät uns die erfahrene Beterin, Madame Guyon?

Ihr müsst vielmehr mit liebender Geduld, demütiger Achtsamkeit, mit häufiger, aber ruhiger liebevoller Hinwendung und ehrfürchtigem Schweigen die Rückkehr des Geliebten erwarten.[2]

Madame Guyon spricht von der Geduld als wichtige Tugend. Wir müssen nur warten. Denn Gott bleibt nicht immer abwesend. Der Geliebte wird wiederkommen, das ist sicher. Gott ist dabei wie ein Vater, der für seine Kinder da ist. Doch wir sollen auch erwachsen werden und das bedeutet: auf eigenen Beinen stehen, mental stark sein, auch wenn Gott weg ist.

Nicht mein Wille geschehe …

Der Mensch ist meist so gepolt, dass er die beglückende Erfahrung von der Nähe Gottes wiederholen möchte.  Er sagt sich: Ich will das wiederhaben. Doch hier ist schon das Problem: Ich will

Der Betende will wieder. Es geht also nicht mehr um Gott, sondern darum, wie der Beter Gott haben will. Es geht nicht mehr um den Willen Gottes, sondern um den Willen des Beters. Doch diese Tatsache alleine zeigt, dass es dann kein Gebet mehr ist, denn im Gebet hören wir auf den Willen Gottes.

Dein Wille geschehe

Der Beter hat zu hohe Erwartungen. Er stellt eine Bedingung an das Gebet: Ich will, dass sich Gott zeigt. Doch das ist nicht im Sinne Gottes. Gott will sich zeigen, wie er will. Im Römerbrief lesen wir: „Denn zu Mose sagt er: Ich schenke Erbarmen, wem ich will, und erweise Gnade, wem ich will“ (9,15).

Wie Gebet gelingen kann

Für das Gebet ist ein offener Geist wichtig. Ein Geist, der sich beschenken lässt. Solange auf den Herrn warten, bis er sich zeigt. Die Fähigkeit des Loslassens ist essentiell. Nur wenn wir von Erwartungen loslassen, wenn wir vom Bild wie Gott jetzt sein muss loslassen, kann Gott richtig in uns wirken.

Es stimmt: Wer loslässt hat zwei Hände frei. Gott kann sie dann im Gebet reichlich befüllen.

Wer reichlich sät, wird reichlich ernten

Wenn Gebet wahrhaft geschieht, dann werden wir zu wahrlich Beschenkten. Der Segen Gottes liegt dann auf uns und wir erleben eine Glücksspirale in geistige Höhen, anstatt eine Spirale nach unten. Doch bis sich die Spirale nach oben aufbaut, braucht es Geduld und ein beharrliches Bemühen im Gebet.

Auf deinem spirituell-geistlichen Weg, wird dich Gott mehr und mehr führen. Und du wirst erstaunt darüber sein, was Gott in der Lage ist, in deinem Leben zu wirken.

Gott braucht dich

Mit der Zeit werden wir im Gebetsleben immer krisenfester und mental stabiler. Jedes durchschrittene Tal macht stärker und lässt die Gottesbeziehung wachsen. Das ist eine natürliche Entwicklung, die dazu führt, dass wir dann auch ein Segen für andere werden können. Dann bauen wir am Reich Gottes mit: Wir sind Arbeiter in seinem Weinberg (vgl. Mt 20,1). Das ist die schönste Aufgabe der Welt: Am Reich Gottes mitwirken.

Ich wünsche uns allen eine früchtebringende Gebetspraxis. Genießen wir die Sonnentage mit Gott! Verzagen wir nicht, wenn auf Sonne Regen folgt und wir im kühlen Nass fast verzweifeln. Das ist für irdische Verhältnisse vollkommen normal. Doch auf Regen folgt wieder Sonne. Vertrauen wir im Regen auf die Güte Gottes und darauf, dass er am besten weiß, was er wem, wann schenkt.

Erfahre selbst! Prüfe alles! Lass Dich inspirieren!

Quellen:

[1] Jungclaussen, Emmanuel/Jeanne-Marie Guyon: Von der Leichtigkeit, Gott zu finden: Das innere Gebet der Madame Guyon (Klassiker der christlichen Spiritualität), 3. Aufl., Neufeld Verlag, 17.12.2018, S. 82.

[2] Jungclaussen/Guyon, 2018, S. 82.

Literaturverzeichnis:

Jungclaussen, Emmanuel/Jeanne-Marie Guyon: Von der Leichtigkeit, Gott zu finden: Das innere Gebet der Madame Guyon (Klassiker der christlichen Spiritualität), 3. Aufl., Neufeld Verlag, 17.12.2018.