Fliehe! Schweige! Ruhe!

Beginnen wir mit einer Geschichte aus den Apophthegmata Patrum, zu Deutsch der „Weisung der Väter“, eine Sammlung von kurzen Redewendungen, die von den ersten christlichen Mönchen Ägyptens, den sogenannten Wüstenvätern, stammen.

Als der Altvater Arsenios noch im Palast weilte, betete er zu Gott: ‚Herr, zeige mir einen Weg, wie ich Rettung finde!‘ Und es kam eine Stimme zu ihm, die sprach: ‚Arsenios, fliehe die Menschen, und du wirst gerettet werden.‘ Als er sich dann bereits in das Einsiedlerleben zurückgezogen hatte, betete er wieder mit den gleichen Worten. Und er hörte eine Stimme, die zu ihm sagte: ‚Arsenis, fliehe, schweige, ruhe! Das sind die Wurzeln der Sündenlosigkeit.[1]

Jene dreigliedrige Formel Fliehe! Schweige! Ruhe!, wurde zur Grundlage des monastischen Christentums. Was können wir Menschen aus der Moderne dabei mitnehmen? Ich möchte im Folgenden auf diese drei „Schätze“ des frühen Mönchtums näher eingehen.

Fliehe!

Es handelt sich bei dieser Aufforderung vielmehr um eine Flucht in sich selbst hinein, in die „Zelle des Herzens“. Ein Fliehen vor der Reizüberflutung. Vor dem Lärm der Welt.

Die Stille als Lehrer

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass die Stille des eigenen Zimmers zu einem Lehrmeister werden kann. Man entflieht dem Trubel der Welt, und zieht sich in das eigene Zimmer zurück.

Die alten Mönche empfehlen sogar, das Zimmer abzudunkeln, weil es die Konzentration erleichtert und die Möglichkeit der Ablenkung mindert.[2]

Abwägen

Das hört sich jetzt so an, als solle man immer nur fliehen, wenn es brenzlig wird. Doch das meinen die Wüstenväter sicherlich nicht. Denn unter ihnen wurde leidenschaftlich diskutiert, „ob man grundsätzlich Anfechtungen von sich fernhalten soll oder ob es besser ist, sie eintreten zu lassen und sich innerlich mit ihnen auseinanderzusetzen“. [3]

Hier unterschieden die Wüstenväter zwei mögliche Vorgehensweisen: Es kann sinnvoll sein, manchem Problem aus dem Weg zu gehen – zumindest vorläufig. Wer jedoch erfahren ist, soll sich konfrontieren. Das heißt: Die Anfechtung in sich hineinlassen und mit ihr kämpfen.[4]

Es muss also abgewogen werden, was das richtige Mittel ist, ob man sich mit Schwierigkeiten konfrontiert, oder ob man sich in die Stille des „Kellions“ (Klosterzelle) zurückzieht.

Beides kann nützlich sein. Die Stille einüben und dem Stress aus dem Weg gehen, oder den Kampf mit den Anfechtungen austragen.

Schweige!

Beim Schweigen begegnen wir uns selbst. Ohne äußere Ablenkung. Oft kommt dann Angst hoch, die wir möglicherweise im Trubel des Alltags gar nicht spüren. Was hat der bekannte Benediktinerpater Anselm Grün dazu zusagen?

Schweigen heißt: all das anschauen und loslassen, es wahrnehmen und sich davon distanzieren. Ich kann die Angst nicht vertreiben. Ich nehme sie wahr und übergebe sie Gott. Ich fliehe nicht vor meiner Angst. Aber ich steigere ich mich auch nicht in sie hinein. Es ist ein langer Übungsweg, bis die Angst, der Ärger oder die Unruhe abnimmt und allmählich einer inneren Ruhe weicht.[5]

Es geht also auch um Mut, alles Verdeckte, Verdrängte, in mir anzuschauen. Es einfach wahrnehmen. Ich flüchte nicht davor, sondern übergebe die Angst, den Groll, die Scham, Gott.

Was ist das Ziel des Schweigens? Wieder Pater Grün:

Das Ziel des Schweigens ist es, uns für Gott offener zu machen, so dass in unsere Lebensvollzüge, in unser Denken und Tun Gottes Geist einströmen kann. Das Schweigen sollte uns durchlässig machen für Gottes Geist, so dass Gott in uns die Führung übernehmen könnte. Nicht wir mit unserer egoistischen Enge bestimmen unser Leben, sondern Gottes Geist selbst, dem wir uns schweigend überlassen und anvertrauen.[6]

Schweigen als Vollendung

Die letzte, „höchste“ Stufe ist das Gebet der contemplatio, die Gottesschau. Bilder, Gedanken und Vorstellungen finden ein Ende. Die Herrlichkeit Gottes wird im Schweigen, in der Stille erfahrbar. Ein zutiefst heiliger Moment, den Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse nur zu gut kannten – das „schweigende Einswerden mit dem Seelengrund, indem Gott selbst bildlos ruht“.[7]

Nichts erzwingen

Doch diese mystische Begnadung ist nicht mit menschlichem Eifer zu erreichen. Vielmehr ist sie ein Geschenk an den Betenden. Wie Anselm Grün es formuliert:

Ich kann Gott durch mein Still- und Leerwerden nicht zwingen, dass er mich mit geistlichem Reichtum erfüllt.[8]

Die drei Stufen

Dem Ziel der contemplatio gehen in der monastischen Überlieferung drei Stufen voraus: lectio, meditatio und oratio.

In wenigen Worten: Die erste Stufe ist die Lesung lectio, in der der Beter eine Bibelstelle auswählt, die ihn sehr berührt. Doch das ist nicht nur auf die Bibel beschränkt. Jeder Text, ob ein Gedicht oder Essay, kann für die lectio von großer Bedeutung sein.

In der zweiten Stufe meditatio lässt der Beter das Wort aus der lectio in sein Herz fallen. Er wiederholt im Geist und Herzen den Vers und hält es der Stille hin. Es kann sein, dass die Worte eine große Sehnsucht auslösen.

Sein Sehnen kann der Beter dann in der oratio, in einem kurzen Gebet, stillen. Es ist möglich sich zu knien, wenn man im Herzen von der Herrlichkeit Gottes stark berührt wird.

Diese drei Schritte lectio, meditatio und oratio, führen in die Stille der contemplatio, in eine erfüllte Stille. In die Begegnung mit Gott, dem ewigen Du. Daraus erwächst eine lebendige Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf.[9]

Ruhe!

Der letzte Hinweis spricht von der Ruhe. Die ein Ergebnis der beiden ersten Fliehen und Schweigen ist.

Die Ruhe verbinde ich immer mit dem Ruhegebet, das eine christliche Gebetsform ist, die die Anrufung Gottes zum Inhalt hat.

Es ist die Urform des Jesus- oder Herzensgebet, welches heutzutage besonders auf dem Berg Athos und in Russland geübt wird. Hier habe ich über das Jesusgebet geschrieben.

Der Übermittler

Als christliches Gebet brachte das Ruhegebet Johannes Cassian, der Mönchsvater (360-435) ins Abendland. Cassian schrieb seine Gespräche mit den Mönchsvätern in den „24 Unterredungen mi den Vätern“ (Collationes) nieder.

Das tiefste Anliegen Cassians ist es, dass der Betende in allem und durch alles in seinem Leben eine Begegnung mit dem Schöpfer erfährt, dem Urgrund allen Seins, mit Gott, der die Liebe ist. [10]

Worte finden

Zum Ruhegebet sagt Cassian, dass ein kurzer Satz als Mittel benutzt wird, um in die Stille hinabzugleiten. Die Gedanken kommen durch das Rezitieren eines einzigen Verses zu Ruhe.

Cassian benutzt folgende Gebetsformel:

Gott, komm mir zu Hilfe.

Herr, eile mir zu helfen!

Doch die Gebetsworte sind frei wählbar. Suche dir die Worte aus, die dich am meisten im Herzen berühren. Zum Beispiel:

Dein Wille geschehe

Herr Jesus Christus

Christe eleison

Christos

Jesus Christus

Jesus

Abba

Herr erbarme dich meiner

Komm, Herr Jesus

Immanuel

Wenn dein Herz von einem Wort berührt wird, spüre nach. Es könnte dein Gebetswort sein!

Die Übung

Peter Dyckhoff, deutscher Theologe, Priester und Autor ist Experte auf dem Gebiet des Ruhegebets. Er schreibt in seinem Buch „Ruhegebet“:

Als Erstes wiederhole [der Betende] einige Male sein Gebet, in dem er es laut ausspricht, dann leise – bis er beim sanften Wiederholen nicht mehr die Zunge und die Lippen bewegt. Jetzt wiederholt er es nur noch in Gedanken und schließt dabei die Augen. Aus dem gedanklichen Wiederholen wird allmählich ein innerliches. All dies geschieht ohne Anstrengung, ohne den Willen einzusetzen, rein absichtslos und ohne jegliche Erwartung.[11]

Wie oft?

Die Empfehlung zum Ruhegebet lautet: zweimal am Tag, morgens und abends, an einem möglichst ungestörten Ort, zunächst für zwanzig Minuten. Man soll im Sitzen beten oder – bei Krankheit – im Liegen.

Kein Leistungsdruck

Doch das Ruhegebet hat nichts mit Leistung zu tun. Im Gegenteil: Jeder Druck, den der Betende ausübt, jede übergroße Erwartungshaltung schmälert und blockiert die transformierende Wirkung des cassianischen Ruhegebets. Es geht nicht um ein „Leisten“, „Müssen“ oder „Wollen“. Allein die Haltung der lauschenden Hingabe, führt den Betenden allmählich in seine wahrhaftige, ursprüngliche Identität zurück. In den Geist der Gotteskindschaft, in den Geist, mit dem wir rufen „Abba“.[12]

Eine zärtliche Beziehung

Obwohl ich von Gebetstechnik und Methode geschrieben habe, treffen es diese Wörter nicht ganz. In erster Linie – noch weit vor einer Methode – geht es um eine Beziehung eines menschlichen ICHs zu einem göttlichen DU.

Alles ist möglich

Bei einer kontinuierlichen Übungsweise kann man alles erhoffen: Glückseligkeit, innere Ruhe, höchste mystische Begnadung und Gebetserhörung. Doch diese geistlichen Früchte geschehen und lassen sich nicht herbeizwingen. Auch wenn es den Anschein hat, dass unsere Gebete nicht sofort erhört werden, ist kein Gebet unnütz oder geht verloren. Deshalb sollte das Ruhegebet – wenn vorerst augenscheinlich nichts passiert – weiter geübt werden.

Beten ohne Wort

Die Wüstenväter gaben den Hinweis, dass im Ruhegebet nicht nur allmählich die Gedanken schwinden, sondern sogar das Gebetswort vergessen wird. Das ist nicht weiter schlimm, denn das Gebetswort ist nichts anderes als ein Werkzeug, das man benutzt, um in die Gegenwart Gottes zu gelangen. Die Momente, in denen man Gott ganz still, wortlos und bildlos erfährt, gehören zu den schönsten, religiösen Erfahrungen, die es gibt. Wenn diese kurzen Momente des wahren Genusses schwinden, kehren wir einfach wieder zu unserem Gebetswort zurück.

Ich wünsche dir, dass du die Anregungen Fliehe! Schweige! Ruhe! in Dein Leben integrieren kannst.

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Quellen:

[1] Weisung der Väter, eingeleitet und übersetzt von Bonifaz Miller, Freiburg 1965, S. 25

[2] Vgl. Jungclaussen, Emmanuel: Das Jesusgebet: Anleitung zur Anrufung des Namens Jesu, 8. Aufl., Regensburg, Deutschland: Verlag Friedrich Pustet, 2008, S. 13.

[3] Vgl. Ruppert, Fidelis: Geistlich kämpfen lernen: Benediktinische Lebenskunst für den Alltag, 3. Aufl., Münsterschwarzach, Deutschland: Vier-Türme-Verlag, 2018, S. 87.

[4] Vgl. Ruppert, 2018, S. 88.

[5] Vgl. Grün, Anselm: Der Anspruch des Schweigens, 12. Aufl., Münsterschwarzach, Deutschland: Vier-Türme-Verlag, 2013, S. 51.

[6] Grün, 2013, S. 65.

[7] Grün, 2013, S. 80.

[8] Grün, 2013, S. 75.

[9] Vgl. Grün, 2013, S. 74.

[10] Dyckhoff, Peter: Ruhegebet, 3. Aufl., Stuttgart, Deutschland: Verlag Katholisches Bibelwerk, 2017, S. 17.

[11] Dyckhoff, 2017, S. 149.

[12] Vgl. Dyckhoff, 2017, S. 27.

Literaturverzeichnis

Dyckhoff, Peter: Ruhegebet, 3. Aufl., Stuttgart, Deutschland: Verlag Katholisches Bibelwerk, 2017.

Grün, Anselm: Der Anspruch des Schweigens, 12. Aufl., Münsterschwarzach, Deutschland: Vier-Türme-Verlag, 2013.

Jungclaussen, Emmanuel: Das Jesusgebet: Anleitung zur Anrufung des Namens Jesu, 8. Aufl., Regensburg, Deutschland: Verlag Friedrich Pustet, 2008.

Ruppert, Fidelis: Geistlich kämpfen lernen: Benediktinische Lebenskunst für den Alltag, 3. Aufl., Münsterschwarzach, Deutschland: Vier-Türme-Verlag, 2018.