Was können Christen von Buddhisten lernen?

Seit vielen Jahren gehe ich den Zen-Weg, und habe die Übung des Zazen in mein christliches Glaubensleben integrieren können. Obwohl ich kein Buddhismus Experte bin, habe ich während meiner buddhistischen Praxis, viel erfahren dürfen, was mich vor allem in meiner Jugend sehr geprägt hat. Noch heute lese ich gerne Bücher von Taisen Deshimaru, wie zum Beispiel das Hannya Shingyô, das Shōdōka, das Sandōkai, oder das Shinjinmei. Alles Werke voller Weisheit. Wenn du mehr wissen willst, was der Text des Shinjinmei in meinem Leben bewirkt hat, dann klicke hier.

Ich möchte nun der Frage nachgehen, was wir als Christen von dieser beeindruckenden Weltreligion lernen können. Dieser Beitrag hat nicht den Anspruch den Buddhismus vollständig abzubilden, dafür reicht weder mein Wissen noch der Platz.

Der Weg Buddhas mit eigenen Worten

Der Buddhismus ist weltweit die viertgrößte Religion und wird von etwa 230 bis 500 Millionen Menschen praktiziert. Im Zentrum steht die Erlösung des Menschen durch eine transformierende Erfahrung, die als Erleuchtung (Nirvana, jap. Satori) bekannt ist.

Sie wird erlangt durch Meditation, die nach Tradition und Kultur sehr verschieden sein kann. So gibt es Atem-, und Visualisierungsübungen, die sehr bekannte Vipassana-Meditation oder das bloße Sitzen – das Shikantaza, wie es im Zen heißt.

Wie aus heiterem Himmel

Der Buddhist kann nach jahrelanger Praxis die Erfahrung der Erlösung machen. Meist tritt Satori schlagartig auf. Zum Beispiel wenn der Praktizierende einen Apfel vom Baum fallen, oder einen Frosch in einen Teich hüpfen sieht. Satori kann nicht wirklich in Worte gefasst werden, plötzlich ist dem Schüler bewusst, was er vorher nicht wusste. In einem Moment auf den anderen hat sich alles verändert. Wer Satori erlangt hat, der leidet nicht mehr im üblichen Sinne. Natürlich kennt der Erleuchtete noch körperliche Schmerzen, immerhin ist er noch ein Mensch. Aber das psychologische Leiden, das einen Großteil der Probleme verursacht, hat aufgehört.

Die drei Geistesgifte

Wer Satori oder Nirvana erlangt hat, der ist nach dem buddhistischen Glauben, aus dem ewigen Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt befreit. Buddha sagte auch, dass wir aber keine Sekunde von dieser befreienden Erfahrung getrennt sind. Wir können dies im Alltag nur wenig erfahren, weil wir uns mit Falschem identifizieren: mit Gier, Hass und Verblendung – die drei Geistesgifte im Buddhismus.

Das Dharma – die Lehre Buddhas

Durch die Lehre Buddhas von den vier edlen Wahrheiten, kann der Schüler das Leiden überwinden. Es ist eine Verbindung aus Erkenntnis, disziplinierter Meditationspraxis und dem ethisch korrekten Verhalten, das Buddha im achtfachen Pfad beschreibt. Unter anderem steht hier: Rechte Rede, rechtes Handeln, rechte Achtsamkeit usw. Ein wesentliches Konzept der Buddhisten ist das Mitgefühl, das grenzenlos allen Lebewesen entgegengebracht werden soll …

Der Erfolg des Buddhismus

Hier eine Erklärung, warum sich mehr und mehr Menschen aus dem Westen für den Buddhismus begeistern:

Die Menschen unserer Zeit interessieren weniger die philosophischen und theologischen Theorien, sondern die praktischen Anleitungen, wie man sein Leben vertiefen kann, wie man wieder religiös wird. Hier füllt Zen eine Lücke, die im praktizierten Christentum klafft, bedingt durch die Einseitigkeit der rationalen westlichen Geisteskultur, insbesondere der Theologie.[1]

Tatsächlich gibt es im Buddhismus eine lebendige Tradition an Techniken und Methoden, die jedem Gläubigen zugänglich sind. Und das ist der Grund, so Guido Kreppold, für den Erfolg des Buddhismus, weil die Christen es versäumen, praktische Lösungen und Methoden zu lehren. Im Beitrag Langweilst Du Dich? schreibe ich über genau eine solche Methode, die antirrhetische Methode heißt. Im Beitrag Du brauchst ein Ziel #2 Das Jesusgebet beschreibe ich das Jesusgebet. Im Beitrag Fliehe! Schweige! Ruhe! wird das Ruhegebet vorgestellt. Du siehst schon: Alles christliche Methoden, die den buddhistischen in nichts nachstehen!

Die Tugenden der Erleuchteten

Das Konzept der Erleuchtung ist für viele Menschen inspirierend und befreiend. Auch der Jesuitenpater und Zen-Meister Hugo Makibi Enomiya-Lasalle (1998–1990) beschreibt

Erleuchtete als Personen, in denen sich unerschütterliche Ruhe, innere Sicherheit, Furchtlosigkeit und Dankbarkeit mit sprühender Vitalität verbinden. Es ist das Ende aller Entfremdung und damit aller Angst, Not und Zerrissenheit. Alle Zweifel und alle Unsicherheiten sind einer beglückenden Gewissheit gewichen.[2]

Was sagt der Buddhist?

Ich möchte nun einmal kreativ brainstormen, was ein Buddhist antworten würde, wenn ich ihn danach fragte, was er mir zu sagen hätte. Ich fühle in mich hinein und lasse die Worte einfach fließen:

Lieber Christ! Strecke dich nach mehr aus! Praktiziere eine spirituelle Methode. Strebe immer weiter nach Satori, nach der Befreiung deines ureigensten Wesens, das ganz tief in dir verborgen leuchtet. Ihr Christen habt oft keine Ahnung, welches Potenzial in euch schlummert. Das ist sehr traurig! Ihr wisst nichts über die heilige Kraft des eigenen Geistes. Wenn er befreit ist, steigst du zu wahren Höhenflügen auf und badest in wahrer Glückseligkeit.

Wieso wisst ihr Christen darüber so wenig? Das beste Beispiel für die Stärke des eigenen Geistes, ist die Tummo Meditation, eine fortgeschrittene, tantrische Meditationstechnik. Tummo ist tibetisch und bedeutet „innere“ Hitze, „inneres“ Feuer. Das Ziel ist die bewusste, starke Erhöhung der eigenen Körpertemperatur, oft angewendet im Schnee oder Eiswasser. So werden kälteste Temperaturen vom Praktizierenden ohne Probleme ausgehalten.

Lieber Christ! Du hast keine Ahnung, was für dich möglich ist. Denn wir sind wahre Götter, wenn wir Befreiung erlangt haben. Spüre die Sehnsucht in dir, mehr aus deinem Leben zu machen und nach Höherem zu streben! Wenn du am Ziel bist, wirst du dein göttliches Potenzial erfahren und dann weißt du, was ich meine. Ich kann viele Worte machen, aber wirklich verstehen wirst du mich nur, wenn du es selbst erfährst. Es braucht Mut und Ausdauer, alle Hindernisse, die dir auf deinem spirituellen Weg begegnen, zu überwinden. Doch bald schon ist es geschafft und du fliegst wie der Adler über das Tal. Nichts als grenzenlose Weite!

Was sagt der Christ?

Jetzt lasse ich fiktiv den Christen zu Wort kommen. Wieder horche ich in mich hinein, was er mir sagen möchte:

Lieber Buddhist! Du musst überhaupt nichts erreichen. Denn es gibt nichts zu erreichen, außer eine lebendige Beziehung mit Gott zu pflegen, die Gott mit dir eingehen möchte. Du kannst zu Gott rufen zu jeder Zeit, an jedem Ort, mit allem, was dich beschäftigt. Kein Gebet ist umsonst und bleibt unbeantwortet. Lieber Buddhist! Ich weiß, dass du meist tausende Stunden auf dem Sitzkissen in deinem Leben verbracht hast, ohne auch nur eine Sekunde zum erlösenden Gott gebetet zu haben. Es ist aber Gott, der dir alles geben wird, was du ersehnst.

Es ist spannend, lieber Buddhist, dass auch du nach Erlösung strebst, sogar mit all deiner Kraft, was ich sehr schätze und bewundere. Das hat mich in meiner eigenen Gebetspraxis sehr inspiriert! Das habe ich von dir gelernt! Aber bedenke: Wir müssen uns zwar anstrengen und die Initiative ergreifen, aber es ist letztlich Gott, der freimacht und Freiheit schenkt.

Ich muss mich nicht verbiegen, verändern, anders sein. Ich kann den jetzigen Moment völlig genießen, weil ich mich geliebt weiß, von Gott, meinem himmlischen Vater. Lieber Buddhist! Mache dich frei von deinem übersteigerten Ehrgeiz, Satori zu erlangen. Entspanne dich und lasse geschehen, was geschehen soll. Wir können „Gipfelerfahrungen“ nicht erzwingen. Gott schenkt sie uns.

Fazit

Vom Buddhisten können Christen viel lernen, denn es ist vorbildlich, wie sehr diese sich für ihr spirituelles Wachstum engagieren. Etwas das wir Christen vielleicht verloren haben? Ist es nicht wertvoll, wieder regelmäßig zu beten, zu meditieren, Kontemplation zu üben, genau das, was der Buddhist längst tut?

Auch Pater Lasalle wusste, dass der Christ sehr viel vom Buddhisten lernen kann. Da er als Missionar in Japan wirkte, kam er dort mit dem Zen-Weg und der Praxis des Zazen in Berührung. In seinem Buch Zen unter Christen schreibt er als Brückenbauer zwischen Ost und West, dass sich der Glaube der Christen, die Zazen üben, verfestige und dass ein Zugang zum tieferen Beten möglich sei. Sogar diejenigen, die nicht mehr an Gott glauben können, fänden durch die Übung des Zen wieder zum Glauben zurück. [3]

An anderer Stelle schreibt Pater Lassalle:

Es gibt nun aber gegenwärtig sehr viele Menschen […], die an dem Punkt angelangt sind, wo sie anscheinend nicht mehr „weiterkommen“. Manche kommen aus diesem Grund zum Zen. Sie erhoffen sich und finden meistens auch einen Zugang zu den tieferen Seelenschichten und damit zu einem tieferen Gebet. Das Zen und andere östliche Methoden lassen eben nicht über einen Gegenstand nachdenken, sondern im Gegenteil: Man soll sich bemühen von Gedanken frei zu werden.[4]

Der Christ bringt dem Buddhisten wiederum bei, dass er so sein darf, wie er ist, weil der personale Gott ihn genau so erdacht und erschaffen hat.

Gottesbilder

Christen glauben nicht an eine apersonale Kraft, wie das Dao oder das Shunyata, sondern an den personalen Gott, Jahwe. In diesen beiden Gottesbildern unterscheiden sich christliche und asiatische Mystik. Alois Prinz, drückt das in seiner Biografie über Teresa von Ávila so wunderbar aus:

Die Entdeckung, die Teresa machte, war die, dass Gott nicht ein Prinzip ist oder eine abstrakte Macht, sondern Person, und dass sie mit ihm nur in ein Gespräch treten kann, wenn sie selbst als Person auftritt. Das ist eine ganz andere Vorstellung als in bestimmten Formen der asiatischen Mystik, wo Gott als etwas Umgreifendes verstanden wird, und es für den einzelnen Menschen darauf ankommt, sein Ich in dieses Umfassende aufzulösen wie einen Tropfen im Meer oder wie eine Schneeflocke im Schneesturm. Bei Teresa gibt es eine solche Auflösung nicht. Im Gegenteil, ihr Gott ist Person, und die Art und Weise, ihn zu erfahren, ist das Gespräch, der Dialog zwischen Gott und Mensch, zwischen Ich und Du.[5]

Das Haus auf Felsen bauen

Ich hoffe, ich habe dich inspirieren können, mal über den Tellerrand hinauszuschauen, und vielleicht ist etwas dabei, was du von Buddhisten lernen kannst.

Alle Religionen bieten dem Suchenden einen Weisheitsschatz. Trete mit ihnen in einen lebendigen Dialog, doch stehe fest in deinem eigenen Glauben. Bei mir ist das der Glaube an Jesus Christus. Nur wenn ich wirklich feststehe, kann ich auch die anderen Religionen wertschätzen und muss sie nicht intolerant und fanatisch abwerten.

Wenn du wirklich in deinem Glauben gegründet bist, dann kannst du dich auch bei fremden Ansichten entspannen. Vielleicht ist das eine der größten Herausforderungen unserer Zeit: In einem Überangebot an Wegen und Meinungen sich selbst nicht verlieren …

Wer fest in Christus gründet, der baut sein Haus auf Felsen. Wenn eine Sturmflut kommt und die Wellen gegen das Haus schlagen, kann es dieses nicht erschüttern, weil es gut gebaut ist (vgl. Lk 6,48).

Ich wünsche dir, dass auch du fest in deinem Glauben gegründet bist. Falls du eine Affirmation für stürmische Zeiten suchst, kannst du hier fündig werden.

Wir sehen uns im nächsten Artikel wieder. Bis dahin!

Quellen:

[1] Kreppold, Guido: Nachfolge, 1. Aufl., Münsterschwarzach, Deutschland: Vier-Türme-Verlag, 2010, S. 66-67

[2] Kreppold, 2010, S.63

[3] Vgl. Enomiya-Lassalle, Hugo: Zen unter Christen: Östliche Meditation und christliche Spiritualität (Topos Taschenbücher), 1. Aufl., Topos plus, 01.03.2016, S. 29.

[4] Ebd., 30-31.

[5] Prinz, Alois: Teresa von Ávila: Die Biografie, 2. Aufl., Berlin, Deutschland: Insel Verlag, 2017, S. 61-62.

Literaturverzeichnis:

Enomiya-Lassalle, Hugo: Zen unter Christen: Östliche Meditation und christliche Spiritualität (Topos Taschenbücher), 1. Aufl., Topos plus, 01.03.2016.

Kreppold, Guido: Nachfolge, 1. Aufl., Münsterschwarzach, Deutschland: Vier-Türme-Verlag, 2010.

Prinz, Alois: Teresa von Ávila: Die Biographie, 2. Aufl., Berlin, Deutschland: Insel Verlag, 2017.