Wie kann ich beten? Teil 1
Ich möchte heute meine persönlichen geistlichen Übungen vorstellen. Zu jeder Situation gibt es eine geistliche entsprechende Übung. Ein Beispiel: Wenn ich mich minderwertig fühle, dann ist es sinnvoll, sich von Gott lieben zu lassen. Wenn ich zu stolz und hochmütig bin, dann ist es wichtig, mich in Demut zu üben. Wenn ich mir zu viele Sorgen mache, dann kann ich diese dem Herzen Jesu übergeben. Wenn ich zu sehr auf eigene Leistung dränge, dann übergebe ich meinen Willen in den größeren Willen Gottes.
Die Übungen sind effektiv und können viel bewirken. Suche dir die entsprechende heraus. Starten wir gleich:
#1 Sich in Demut üben
Wichtig: Du kannst dich nur „erfolgreich“ in Demut üben, wenn du zuerst von Gott innerlich erhöht worden bist. Demütige dich nur, wenn du emotional und geistig stabil bist und wenn du im Glauben auf festem Grund stehst.
Es geht nämlich nicht um Selbstverachtung oder gar Selbsthass. Wenn du diese Tendenzen in dir trägst, dann geh in die Liebe, die Gott für dich in seinem Herzen trägt. Denn Gott liebt uns Menschen und zuallererst ist er gütig und barmherzig. Wenn du kein gutes Selbstbild hast, und du innerlich wackelst, dann ist diese Übung nichts für dich.
Wenn du aber fest im Glauben stehst, dass Gott dich liebt, dass Jesus für dich am Kreuz gestorben ist – ein guter Freund meinte einmal, dass der sterbende Jesus am Kreuz meinen und auch deinen Namen liebevoll geflüstert hat. Welch schöner Gedanke! –, dass du erlöst und errettet bist, weil Jesus den Weg freimacht, dann ist diese Übung der Demut sehr wertvoll. Das Ego soll vom Thron und sich in Demut üben.
Wie kann das konkret aussehen? Du kannst auf die Knie gehen und folgendes Gebet sprechen: Lieber Gott, bitte vergib mir meinen Hochmut und meinen Stolz. Und schenke mir Demut. Ich möchte so demütig sein, wie dein Sohn, der gehorsam sich am Kreuz hingegeben hat, für meine Sünden und für die Sünden der ganzen Welt. Bitte schenke mir ein demütiges Herz, dass ich zuerst danach frage, was du willst, statt zu fragen, was ich will.
Wir lesen in der Bibel:
Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden (Mt 23,12).
Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist! (1Petr 5,6)
Demütigt euch vor dem Herrn und er wird euch erhöhen! (Jak 4,10)
#2 Seinen Willen übergeben
In der Bergpredigt spricht Jesus vom rechten Beten. Er sagt die berühmten Zeilen aus dem Vaterunser: „Dein Reich komme, / dein Wille geschehe / wie im Himmel, so auf der Erde“ (Mt 6,10).
Später betet Jesus im Garten Getsemani in Todesangst: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“ (Mt 26,39).
Jesus hat das also nicht nur gepredigt, sondern auch vollkommen gelebt, sogar soweit, dass er sich dem Vater gehorsam hingegeben hat, weil es der Wille Gottes war, dass Jesus am Kreuz stirbt, um ihn in die glorreiche Auferstehung zu führen.
Es geht also darum, seinen eigenen persönlichen Willen in den Willen Gottes zu übergeben. Heißt das nun willenlos zu werden? Natürlich nicht. Der eigene Wille ist überaus wichtig und nützlich. Aber auch hier ist das Maß entscheidend. Wenn ich nur noch danach strebe, was ich selbst will, lebe ich geistlich am Leben mit Gott vorbei.
Ein sehr schönes Gebet von Ignatius von Loyola hilft vielleicht das Ganze noch besser zu verstehen:
Nimm hin, o Herr, meine ganze Freiheit. Nimm an mein Gedächtnis, meinen Verstand, meinen ganzen Willen. Was ich habe und besitze, hast du mir geschenkt. Ich gebe es dir wieder ganz und gar zurück und überlasse alles dir, dass du es lenkst nach deinem Willen. Nur deine Liebe schenke mir mit deiner Gnade. Dann bin ich reich genug und suche nichts weiter.
#3 Sich hingeben
Eine der wichtigsten spirituellen Geisteshaltungen ist die Hingabe. Wenn ich auf das Leben Jesu schaue, dann erkenne ich, wie sehr Jesus ein sich Hingebender ist. Er hält nichts zurück, gibt sogar sein Leben für uns hin. Eine größere Hingabe, ein größeres Opfer als sein eigenes Leben aus Liebe für seine Freunde zu geben, gibt es nicht. Beim Evangelisten Johannes heißt es: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (15,13). Jesu letzte Worte voller Hingabe sind: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46)
Wie kann ich also diese Hingabe einüben? Dabei kann mir ein neapolitanischer, franziskanischer Priester helfen, genauer gesagt Dolindo Ruotolo (1882-1970). Er hat einen Text verfasst, nach innerer Einsprechung, der den Akt der Hingabe sehr schön zeigt. Hier einige Stellen:
Jesus spricht: Warum lasst ihr euch so leicht beunruhigen und verwirren? Überlasst doch Mir eure Sorgen, und alles wird sich beruhigen (…) Das, was euch durcheinanderbringt und euch sehr schadet, ist euer Grübeln und Nachsinnen, euer sich sorgen und abquälen; dazu noch in der Meinung, um jeden Preis alles selber tun zu müssen (…) Wenn ihr Mir doch wirklich sagt: „Dein Wille geschehe, Sorge doch Du“, so greife ich mit Meiner ganzen Allmacht ein und löse die schwierigsten Situationen (…) Wenn immer ihr aber seht, dass sich alles noch mehr verwickelt, dann sagt doch mit geschlossenen Augen des Herzens und der Seele: „Jesus, sorge nun Du!“ (…) Macht es doch alle so und ihr werdet große, andauernde, jedoch stille Wunder erleben (…) Ich, euer Gott, werde sorgen. Ich versichere es euch. (…) Eure Gebete gelten nicht so viel, wie ein Akt vertrauensvoller Hingabe! Bedenkt es wohl. Es gibt keine wirksamere Novene als diese: „O Jesus, ich gebe mich Dir hin, sorge Du.“
Du siehst, jeder, der sich voll und ganz Gott hingibt, kann mit großer Hilfe rechnen. Besonders in Zeiten der Not und großen Schmerzen kann dieses Gebet, diese Ganzhingabe an Gott, reiche geistliche Früchte hervorbringen.
#4 Alles mit Gott teilen
Diese geistliche Übung beschreibt, wie ich alle Erlebnisse, alle Erfahrungen, alle Freuden und Nöte, alles Glück und alles Leid mit Gott teilen kann. Diese Übung kann zum Beispiel so Ausdruck finden, dass ich meine Hände öffne und so ähnlich wie in der Hingabe alles Gott hinhalte, alles mit ihm teile. In Freud und in Leid, den Weg mit Gott gehen, diese Übung ist sehr wirksam.
Selbst in Zeiten der Wüstennacht, dann wenn ich meine, dass Gott abwesend ist, halte ich ihm sogar diese nächtliche Abwesenheit hin. Somit kann ich Gott selbst dann noch erleben, wenn er scheinbar abwesend ist. Selbst dieser Schmerz des Verlassenseins, wird dann zum Gebet, und somit zur Gotteserfahrung.
Alles, was ich erlebe, sehe, höre, fühle, teile ich mit Gott, wie ein Kind es mit seiner geliebten Mutter teilt. So kann ich sagen: „Lieber Papa, hast du das gerade gesehen? Wie schön ist doch dieser Park, durch den ich gehe! Danke, Papa, dafür. Danke, dass ich all das wahrnehmen darf, und dass ich es mit dir teilen darf.“
Auch Jesus hat das praktiziert. Sein Leben ist zu einem kontinuierlichen Gebet geworden. Er spricht immer mit Gott, sein Leben ist eine Ganzhingabe an den liebenden Gott. Jesus teilt alles mit Gott. Seine Freude, seinen Schmerz, ja sogar seine tiefste Gottverlassenheit am Kreuz, wenn er ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Jesus ist ständig angeschlossen an die göttliche Quelle, die ihn mit Kraft und Zuversicht stärkt. Psalm 1 drückt das sehr schön aus. Es heißt, dass einer, der mit Gott lebt, einem Baum gleicht, der an Bächen voll Wasser steht, und der zur rechten Zeit Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken. Alles was er tut gelingt ihm, weil er Gott liebt. Das heißt also, dass wir auch bei Dürre nicht untergehen, weil unsere Wurzeln mit genügend Wasser vom Bach versorgt werden. Ein sehr schönes Bild.
Wie kann das nun ganz praktisch aussehen? Ich unterbreche meinen Tag immer wieder – das kann auch ganz unbemerkt geschehen, auf der Arbeit, in der Schule etc. – und denke an Gott und halte ihm mein Innerstes hin. Diese Übung hat auch – du hast es bestimmt schon bemerkt – Ähnlichkeit mit der Methode von Bruder Lorenz, der sagte, dass wir nur an Gott zu denken brauchen, um ihn direkt zu erfahren. Innerlich halte ich Gott meinen inneren Zustand hin, übergebe ihm, wie ich jetzt gerade bin. Ohne große Erwartung. Ein einfacher Akt der Hingabe.
Das sind also die ersten vier geistlichen Übungen. Es werden weitere folgen! Vielleicht kannst du etwas für dich persönlich mitnehmen. Suche dir eine Übung aus und dann experimentiere ganz spielerisch. Schaue ob es dir einen Nutzen bringt. Das wünsche ich mir.
Prüfe alles und behalte das Gute!