Anthroposophische Tipps für den Weg: Teil 1
Die erste Überzeugung der Anthroposophie ist, „dass es hinter der sichtbaren Welt eine unsichtbare, eine zunächst für die Sinne und das an diese Sinne gefesselte Denken verborgene Welt gibt.“ Die zweite Überzeugung: „Dass es dem Menschen durch Entwickelung von Fähigkeiten, die in ihm schlummern, möglich ist, in diese verborgene Welt einzudringen.“[1]
Ohne Geduld und Ausdauer kann der Geistesschüler nichts bewirken. Das ist jedem klar, der selbst einen kontemplativ-meditativen Weg geht. Schauen wir auf den Buddha Gautama, so wird ersichtlich, wie „hart“ jener an seiner Befreiung „gearbeitet“ hat. Er hat sich fast zu Tode gehungert, nur ein Reiskorn pro Tag gegessen, auf Nägeln geschlafen, um dann zu erkennen, dass es ein mittlerer Weg zwischen den Extremen ist, der ihn befreien kann. Er fand eine Antwort auf seine Frage, wie er wahres Glück in einer ständig sich verändernden Welt finden kann.
Zu dieser Ausbildung [der geistig-seelischen Wahrnehmungsorgane] gehört bei dem Geistesschüler viel Geduld und Ausdauer. Wer nur ein solches Maß von Geduld hat, wie es die gewöhnlichen Lebensverhältnisse dem Menschen in der Regel geben, der wird damit nicht ausreichen. Denn es dauert lange, oft sehr, sehr lange, bis die Organe so weit sind, dass der Geistesschüler sie zu Wahrnehmungen in der höheren Welt gebrauchen kann […] Wer überhaupt in Ungeduld verfallen kann, weil er noch nichts sieht, der hat noch nicht das rechte Verhältnis zu einer höheren Welt gewonnen.[2]
Natürlich erfährt der Geistesschüler immer wieder auch Frustration. Das liegt bei einem meditativen Weg in der Natur der Sache. Man will mehr, glaubt, man sei noch nicht weit genug gekommen. Doch das gleicht einer Illusion. Vielmehr sollte der Geistesschüler dankbar sein, für das, was er bereits „erreicht“ hat und sich wieder in Geduld und Hingabe seiner meditativen Übung widmen. Weiterhin sollte der Geistesschüler nichts erwarten. Ohne Erwartung sein, beschreibt das japanische Zen-Wort „Mushotoku“. Ohne Gewinnstreben, ohne Erwartung, „einfach“ sitzen: „Shikantaza“.
Rudolf Steiner findet Worte, die so wunderbar passen, wenn es um die Einstellung des Geistesschüler geht, wie dieser denken soll:
Ich will alles tun, was mir als Übungen angemessen ist, und ich weiß, dass mir in der entsprechenden Zeit so viel zukommen wird, als mir wichtig ist. Ich verlange dies nicht ungeduldig; mache mich aber immer bereit, es zu empfangen.[3]
Es kommt also auch nicht auf das Ergebnis der Geheimschulung an, auch nicht auf den „Erfolg“, sondern es verhält sich so, dass, „wenn der Schüler richtig sich zu den Übungen stellt, dann gibt ihm die Befriedigung, die er durch das Üben selbst hat, die Klarheit, dass er etwas Richtiges tut, nicht erst der Erfolg.“[4]
Das Bewusstsein des Geistesschülers muss so geschult werden, dass er zu jeder Zeit seiner Schulung erkennt, dass ihn alles auf dem spirituellen Weg vorwärtsbringt. Alles nützt ihm. Der Schmerz, alles Leiden kann mit der richtigen Einstellung eine Hilfe sein; beim Erreichen des großen Zieles, dass mir die geistigen Augen in der geistigen Welt aufgehen.
Ein modernes Wort heißt: Achtsamkeit. Mit Achtsamkeit kann alles der Weg sein. Das lernt auch der Zen-Schüler. Mit der rechten Achtsamkeit und Aufmerksamkeit ist alles in einem ganz neuen Licht sichtbar.
Rudolf Steiner gibt mehrere Argumente, die die Gegner der Anthroposophie aufgebracht haben. Ein solches Argument kann lauten: Es ist eine Vermessenheit, in ein Gebiet [die geistige Welt] eindringen zu wollen, in welches nur der Glaube vordringen kann. Kann der Mensch überhaupt etwas wissen, das den Himmel betrifft? Kann er dort sogar „forschen“, wie ein Naturwissenschaftler, die Gesetze der physisch-sinnlichen Welt erforscht? Laut Rudolf Steiner kann das der Mensch sehr wohl. Allerding muss er sich vorher einer Charakterschulung unterziehen. Sich verändern, im Denken, Fühlen und Wollen.
Wenn also Menschen die Spiritualität ablehnen, z.B. Materialisten („Es ist unmöglich in der geistigen Welt zu Erkenntnissen zu kommen. Denn es gibt keine! Alles Phantasterei!“), – dann wäre es von diesen Gegnern ehrlicher, wenn sie sagten: „Ich kann nur darüber sprechen, was ich kenne, und was ich nicht kenne, darüber sollte ich schweigen.“
Rudolf Steiner gibt den Hinweis, dass es für den Geistesschüler immens wichtig ist, sich einen offenen, neugierigen Geist zu bewahren – eben das Gegenteil von voreingenommener Arroganz und Ignoranz.
Weiterhin gibt er den Hinweis, dass man zwar auch nicht seine Lebenserfahrungen missachten soll – wenn man den alltäglichen Dingen begegnet – aber, dass es um eine Neugierde bei allem Neuen geht. Stets soll man bereit sein, dass neue Erlebnisse, den alten widersprechen können.[5]
Es ist nach Rudolf Steiner sogar eine „Versündigung“, wenn der Mensch nicht die in ihm schlummernden, übersinnlichen Fähigkeiten erweckt; wenn er sie statt zu entwickeln, veröden lässt.
Verödet der Mensch sein Leben dadurch, dass er den Zusammenhang mit dem Übersinnlichen verliert, so zerstört er nicht nur in seinem Inneren etwas, dessen Absterben ihn zur Verzweiflung zuletzt führen kann, sondern er bildet durch seine Schwäche ein Hemmnis für die Entwicklung der ganzen Welt, in der er lebt.[6]
Wir sehen also: Wer nach Erkenntnissen und Tugenden strebt, meditiert und sich weiterentwickelt, tut dies nicht nur für sich selbst, sondern auch für die ganze Welt.
Das ist der erste Beitrag in meiner Serie „Anthroposophische Zitate“. Vielleicht hast du bemerkt, wie nützlich die Zitate von Rudolf Steiner sein können. Eines dürfen wir aber nicht außer Acht lassen: Seine Texte sind bereits über hundert Jahre alt. Das behalte ich immer im Hinterkopf. Und dennoch: Sind seine Bemerkungen zu Geduld, Ausdauer und mentaler Einstellung zum spirituellen Weg sehr passend und hilfreich. So empfinde ich das zumindest. Wie geht es dir damit? Konntest du etwas mitnehmen? Im nächsten Beitrag geht es um Verehrung, hohe Ideale und um die Meditation.
Quellen:
[1] Steiner, Rudolf: Die Geheimwissenschaft im Umriss, 01.01.1993, S. 36
[2] Steiner, 1993, S. 289.
[3] Steiner, 1993, S. 290.
[4] Ebd., S. 291
[5] vgl. Steiner, 1993, S. 280.
[6] Ebd., S. 40