Anthroposophische Tipps für den Weg: Teil 4
Das nachstehende Zitat von Rudolf Steiner mag für viele ein Trost sein. Für mich besonders. Es besagt, dass wir Leid, Enttäuschungen und Drangsal nutzbar machen können für unseren spirituellen Weg. Das Leid ist nicht Hindernis desselben, sondern kann ein regelrechter Katalysator sein für Erleuchtung, für Satori.
Deshalb wird diese erste Probe die „Feuerprobe“ genannt. Für manche Menschen ist das gewöhnliche Leben selbst schon ein mehr oder weniger unbewusster Einweihungsprozess durch die Feuerprobe. Es sind das diejenigen, welche durch reiche Erfahrungen von solcher Art durchgehen, dass ihr Selbstvertrauen, ihr Mut und ihre Standhaftigkeit in gesunder Weise große werden und dass sie namentlich mit Ruhe und in ungebrochener Kraft ertragen lernen. Wer Erfahrungen in dieser Art durchgemacht hat, der ist oft schon, ohne dass er es deutlich weiß, ein Eingeweihter, und es bedarf dann nur eines wenigen, um ihm geistigen Ohren und Augen zu öffnen, so dass er ein Hellsehender wird […] Das Ziel aber ist, dass sich der Kandidat durch die Erkenntnis der höheren Welten größeres Leid, wahres Selbstvertrauen, höheren Mut und eine ganz andere Seelengröße und Ausdauer erwerbe, als sie in der Regel innerhalb der niederen Welt erlangt werden können.[1]
Immer wieder steigt […] in dem Geheimschüler ein Gedanke auf; und er ist auf dem rechten Weg, wenn dieser Gedanke in ihm so lebt, dass er Charakteranlage geworden ist. Dies ist der Gedanke: Nicht darauf kommt es an, dass ich etwas anderes meine als der andere, sondern darauf, dass der andere das Richtige aus Eigenem finden wird, wenn ich etwas dazu beitrage.[2]
Wie oft geht es mir und vielleicht auch dir, darum recht zu haben in Diskussionen. Doch Rudolf Steiner bemerkt mit diesem Zitat, dass es uns als Geheimschüler darum gehen sollte, dem anderen dabei zu helfen Erkenntnis aus eigener Kraft zu gewinnen. Dabei muss ich an eine Freundin denken. Diese wartete oft ab, in liebender Güte, bis ich selbst auf den richtigen Weg gekommen bin. Im Gegensatz zu einem anderen Freund, der mich ungeduldig so haben will, wie er es will. Das ist aber keine wirkliche Freundschaft. Liebe kann warten. Wer liebt, hat den anderen im Blick und will, dass es ihm gut geht, vielmehr noch, als dass er recht hätte. Genau das meint hier Rudolf Steiner, wenn er einige Zeilen später schreibt:
Durch solche und ähnliche Gedanken überströmt den Charakter und die Handlungsweise des Geheimschülers das Gepräge der Milde, die ein Hauptmittel aller Geheimschulung ist. Härte verscheucht um dich herum die Seelengebilde, die dein seelisches Auge erwecken sollen; Milde schafft dir die Hindernisse hinweg und öffnet deine Organe.[3]
Rudolf Steiner gibt noch einen wichtigen Tipp mit, mit dem jeder etwas anfangen kann:
Verharre in Ruhe und Abgeschlossenheit, schließe die Sinne für das, was sie dir vor deiner Geheimschulung überliefert haben, bringe alle Gedanken zum Stillstand, die nach deinen vorherigen Gewohnheiten in dir auf- und abwogten, werde ganz still und schweigsam in deinem Innern und warte in Geduld, dann fangen höhere Welten an, deine Seelenaugen und Geistesohren auszubilden. Du darfst nicht erwarten, dass du sogleich siehst und hörst in der Seelen- und Geisterwelt. Denn was du tust, trägt nur bei, deine höheren Sinne auszubilden. Seelisch sehen und geistig hören aber wirst du erst, wenn du diese Sinne haben wirst. Hast du eine Weile so in Ruhe und Abgeschlossenheit verharrt, so gehe an deine gewohnten Tagesgeschäfte, indem du dir vorher noch tief den Gedanken eingeprägt; es wird mir einmal werden, was mir werden soll, wenn ich dazu reif bin. Und unterlasse es streng, etwas von den höheren Gewalten durch deine Willkür an dich zu ziehen.[4]
Siehst du auch hier den sich oft wiederholenden Hinweis, geduldig zu sein und abzuwarten? Und dennoch alles zu erwarten! Obwohl sich möglicherweise (noch) kein wirklicher Fortschritt bemerkbar macht – nicht zu verzagen und weiter zu üben, solange eben, bis die notwendige Reife dazu gekommen ist.
Es kann zum Beispiel jemand sehr weit auf dem Geheimpfade sein. Er kann sozusagen unmittelbar vor dem Öffnen der seelischen Augen und geistigen Ohren stehen; und dann hat er das Glück, eine Fahrt über das ruhige oder vielleicht auch das wildbewegte Meer zu machen, und eine Binde löst sich von seinen Seelenaugen: plötzlich wird er sehend. – Ein anderer ist ebenfalls so weit, dass diese Binde sich nur zu lösen braucht; es geschieht durch einen starken Schicksalsschlag. Auf einen anderen Menschen hätte dieser Schlag wohl den Einfluss gehabt, dass er seine Kraft lähmte, seine Energie untergrübe; für den Geheimschüler wird er zum Anlass der Erleuchtung. – Ein dritter harrt in Geduld aus; Jahre hindurch hat er so geharrt, ohne eine merkliche Frucht. Plötzlich in seinem ruhigen Sitzen in der stillen Kammer wird es geistig Licht um ihn, die Wände verschwinden, werden seelisch durchsichtig, und eine neue Welt breitet sich vor seinem sehend gewordenen Auge aus oder erklingt seinem hörend gewordenen Geistesohre.[5]
Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich finde diesen Text einfach genial. Am Anfang dieses Artikels sprach Rudolf Steiner davon, wie uns Leiden und Enttäuschungen weiterbringen können auf unserem spirituellen Weg, dass es sich dabei um eine „Feuerprobe“ handelt, die den Geheimschüler prüft. Wir erfahren jetzt, dass sogar Schicksalsschläge die geistigen Augen öffnen können. Hier fällt mir der Spruch ein: Wenn die Zeit reif ist, dann ist sie reif. Wenn das Korn reif ist, wird es gedroschen, vorher nicht. Es geht also um Ausdauer auf dem geistig-seelischen Weg, um ein Dranbleiben an der Versenkungspraxis, und dann ein freudiges Erwarten des ehrwürdigen Tages, wenn die höheren Mächte uns für reif und würdig betrachten, unsere geistigen Wahrnehmungsorgane zu öffnen.
Noch ein Zitat, das zeigt, wie wichtig das logische, vernünftige, ruhige Denken in der Anthroposophie Rudolf Steiners ist:
Besonders wichtig für den Geheimschüler ist das Streben nach völliger geistiger Gesundheit. Ungesundes Gemüts- und Denkleben bringt auf alle Fälle von den Wegen zu höheren Erkenntnissen ab. Klares, ruhiges Denken, sicheres Empfinden und Fühlen sind hier die Grundlage. Nichts soll ja dem Geheimschüler ferner liegen als die Neigung zum Phantastischen, zum aufgeregten Wesen, zur Nervosität […] zum Fanatismus. Einen gesunden Blick für alle Verhältnisse des Lebens soll er sich aneignen; sicher soll er sich im Leben zurechtfinden; ruhig soll er die Dinge zu sich sprechen und auf sich wirken lassen […] Alles Überspannte, Einseitige soll in seinem Urteilen und Empfinden vermieden werden.[6]
Wie wichtig Dankbarkeit auf dem spirituellen Weg ist, ist sehr vielen Übenden klar. Unser Leben ist ein Geschenk!
Eine sechste Bedingung ist die Entwicklung des Gefühls der Dankbarkeit gegenüber allem, was dem Menschen zukommt. Man muss wissen, dass das eigene Dasein ein Geschenk des ganzen Weltalls ist. Was ist alles notwendig, damit jeder von uns sein Dasein empfangen und fristen kann! Was verdanken wir der Natur und den anderen Menschen! Zu solchen Gedanken müssen diejenigen geneigt sein, die Geheimschulung wollen. Wer sich ihnen nicht hingeben kann, der vermag nicht in sich jene Allliebe zu entwickeln, die notwendig ist, um zu höherer Erkenntnis zu kommen.[7]
Eine weitere Bedingung für den Geheimschüler:
Der Geheimschüler strebt an, seine gleichmäßige Stimmung zu erhalten, ob ihn Leid, ob ihn Erfreuliches trifft. Das Schwanken zwischen „himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt“ gewöhnt er sich ab. Das Unglück, die Gefahr finden ihn ebenso gewappnet wie das Glück, die Förderung.[8]
Ich hoffe, die Zitate und Anmerkungen Rudolf Steiners können dir weiterhelfen! Für mich war die Lektüre der Bücher: „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?” und „Die Geheimwissenschaft im Umriss” ein großer Lesegenuss. Sicherlich deshalb, weil es sehr ungewöhnliche Tipps sind, die aber logisch nachvollziehbar sind. Mit diesem Beitrag endet die Reihe: Anthroposophische Zitate. Ich hoffe, du konntest etwas mitnehmen!
Quellen:
[1] Steiner, Rudolf: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, Createspace Independent Publishing Platform, 08.02.2016, S. 48
[2] Ebd., S. 60
[3] Ebd., S. 60
[4] Ebd., S. 60
[5] Ebd., S. 62
[6] Ebd., S. 64-65
[7] Ebd., S. 67
[8] Ebd. S. 79