Anthroposophische Tipps für den Weg: Teil 3

Rudolf Steiner spricht im nachfolgenden Textzitat von der Achtsamkeit, die darin besteht, auf seine Gedanken und Gefühle zu achten. Erstaunlich ist, dass er das 120 Jahre vor unserer modernen, spirituell-aufgeklärten Welt schreibt. Wenn wir also achtsam mit unseren Gedanken und Gefühle umgehen, und nach hohen Idealen streben, dann kommen wir weiter auf unserem spirituellen Weg. Lesen wir von Rudolf Steiner, was er dazu zu sagen hat:

In der Geheimwissenschaft kann man aber nur vorwärtskommen, wenn man auf seine Gedanken und Gefühle ebenso achtet, wie man auf seine Schritte in der physischen Welt achtet. Wenn jemand eine Wand sieht, so versucht er nicht, geradewegs durch dieselbe durchzurennen; er lenkt seine Schritte seitwärts. Er richtet sich eben nach den Gesetzen der physischen Welt. Solche Gesetze gibt es nun auch für die Gefühls- und Gedankenwelt. Nur können sie dem Menschen da nicht von außen sich aufdrängen. Sie müssen aus dem Leben seiner Seele selbst fließen. Man gelangt dazu, wenn man sich jederzeit verbietet, verkehrte Gefühle und Gedanken zu hegen.[1]

Es geht also auch darum, sich stets selbst zu beobachten. Was denke ich? Was fühle ich? Wie denke ich über meinen Mitmenschen. Natürlich sind wir alles auch Menschen mit Schwächen. Wir sollten uns in erster Linie selbst annehmen, vollkommen annehmen, ohne Druck etwas erreichen zu müssen. Aber dennoch sollten wir einem Ideal nacheifern. Nämlich das Ideal nach Mitmenschlichkeit. Besonders ersichtlich wird das beim Zuhören:

Was für die Ausbildung des Geheimschülers ganz besonders wichtig ist, das ist die Art, wie er anderen Menschen beim Sprechen zuhört. Er muss sich daran gewöhnen, dies so zu tun, dass dabei sein eigenes Innere vollkommen schweigt. Wenn jemand eine Meinung äußert, und ein anderer hört zu, so wird sich im Innern des letzteren im allgemeinen Zustimmung oder Widerspruch regen. Viele Menschen werden wohl auch sofort sich gedrängt fühlen, ihre zustimmende und namentlich ihre widersprechende Meinung zu äußern. Alle solche Zustimmung und allen solchen Widerspruch muss der Geheimschüler zum Schweigen bringen […] Er muss sich zum Beispiel die Aussprüche von Menschen anhören, die in irgendeiner Beziehung weit unter ihm stehen, und muss dabei jedes Gefühl des Besserwissens oder der Überlegenheit unterdrücken […] Allerdings gehört dazu die aller strengste Selbstzucht. Aber diese führt zu einem hohen Ziele.[2]

In der Anthroposophie geht es ja darum, sich selbst und seinen Charakter zu veredeln. Im vorliegenden Textzitat spricht Rudolf Steiner vom selbstlosen Zuhören. Die Übung ist nun, auf den Redeimpuls, nicht sofort zu antworten, sondern ihn ein wenig zu beobachten. Der innere Zeuge lässt mich mit Abstand auf diesen Impuls schauen. Obwohl sich der Impuls in mir regt, reagiere ich nicht sofort darauf. Wer das ein wenig übt, der wird frei, weil er nicht vorschnell auf alle Reize in seinem Inneren reagieren muss. Auch das Sprichwort sagt: Erst denken, dann reden.

Eine besondere Ausbildung muss man in der Geduld anstreben. Jede Regung der Ungeduld wirkt lähmend, ja ertötend auf die im Menschen schlummernden höheren Fähigkeiten. Man soll nicht verlangen, dass sich von heute auf morgen unermessliche Einblicke in die höheren Welten eröffnen. Denn dann kommen sie in der Regel ganz gewiss nicht; Zufriedenheit mit dem Geringsten, das man erreicht, Ruhe und Gelassenheit sollen sich der Seele immer mehr bemächtigen […] Nur wenn man sich einem ganz bestimmten Gedanken immer wieder hingibt, ihn ganz sich zu eigen macht, erreicht man etwas. Dieser Gedanke ist: Ich muss zwar alles tun zu meiner Seelen- und Geistesausbildung; aber ich werde ganz ruhig warten, bis ich von höheren Mächten für würdig befunden werde zu bestimmter Erleuchtung. Wird dieser Gedanke im Menschen so mächtig, dass er zur Charakteranlage sich gestaltet, dann ist man auf dem rechten Weg.[3]

Das finde ich einen ganz wichtigen Hinweis. Alles zu tun, alles zu erwarten, ohne Erwartung. Das kann ein meditatives Koan sein. Auf der einen Seite, soll der Geheimschüler ehrgeizig sein, dranbleiben an der Meditation und den Übungen, auf der anderen Seite jedoch, soll der Geheimschüler loslassen lernen; besonders seine Erwartungen. Und: Es ist letzten Endes auch eine Form der Gnade, ob mich höhere Mächte für würdig befinden, meine geistigen Wahrnehmungsorgane zu öffnen. Wann das der Fall ist, entscheiden nicht wir. Wir tun alles, was es zu tun gilt, aber der Moment der Erleuchtung liegt nicht in unserer Hand. Wenn du nun schon lange meditierst, und du möglicherweise unzufrieden bist, weil du glaubst, du bist noch nicht da, wo du gern sein möchtest, lege ich dir folgendes Zitat ans Herz:

Gar viele verlassen den Pfad zur Geheimwissenschaft bald, nachdem sie ihn betreten haben, weil ihnen ihre Fortschritte nicht sogleich bemerklich werden. Und selbst, wenn die für den Zögling wahrnehmbaren höheren Erfahrungen auftreten, so betrachtet sie dieser oft als Illusionen, weil er sich ganz anderer Vorstellung von dem gemacht hat, was er erleben soll. Er verliert den Mut, weil er entweder die ersten Erfahrungen für wertlos hält oder weil sie ihm doch so unscheinbar vorkommen, dass er nicht glaubt, sie könnten ihn in absehbarer Zeit zu irgendetwas Erheblichem führen […] Wer es nicht über sich bringen kann, eine Übung, die scheinbar unzählige Male missglückt ist, immer wieder und wieder geduldig fortzusetzen, der kann nicht weit kommen.[4]

Bleiben wir also auf dem spirituellen Weg und üben Geduld und Ausdauer. Das bedeutet: Weiterüben. Weiterlesen. Weiterbeten. Denn Routinen und Struktur sind essentiell auf dem spirituellen Weg. Vor kurzem las ich: Disziplin ist eine Form der Selbstliebe. Genial! Dass was mir guttut, was mich positiv stimmt, weiterüben, insbesondere für mich aber auch für meine Mitmenschen. Eines Tages werde ich dafür belohnt werden, wenn mich höhere Mächte für würdig empfinden, meine geistigen Augen zu öffnen.

Und zum Abschluss noch zwei Zitate von Rudolf Steiner über Krisenzeiten:

Aber auch das Leben selbst ist namentlich nach […] eine gute Geheimschule; vielleicht die beste. Einer Gefahr ruhig ins Auge schauen, Schwierigkeiten ohne Zagen überwinden wollen: solches muss der Geheimschüler können. Er muss zum Beispiel einer Gefahr gegenüber sich sofort zu der Empfindung aufraffen: meine Angst nützt nach gar keiner Seite; ich darf sie gar nicht haben; ich muss nur an das denken, was zu tun ist […] Durch die Selbsterziehung nach dieser Richtung entwickelt nämlich der Mensch in sich ganz bestimmte Kräfte, die er braucht, wenn er in höhere Geheimnisse eingeweiht werden soll.[5]

Der Geheimschüler muss lernen, über einen Misserfolg nicht zu verzagen. Er muss zu dem Gedanken fähig sein: Ich will vergessen, dass mir diese Sache schon wieder missglückt ist, und aufs Neue versuchen, wie wenn nichts gewesen wäre […] Er muss fähig sein, der Zukunft entgegenzuleben, und in diesem Streben sich durch keine Erfahrung der Vergangenheit stören lassen.[6]

Gehen wir also Schritt für Schritt weiter. Mal zwei Schritte vorwärts, einen zurück, drei nach vorne usw. In Geduld und Ausdauer und Beharrlichkeit folgen wir dem Weg der geistigen Welt, die uns voller Liebe tagtäglich begleitet. Mögen wir diese Unterstützung und Liebe immer und überall erfahren.

Quellen:

[1] Steiner, Rudolf: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, Createspace Independent Publishing Platform, 08.02.2016, S. 30

[2] Ebd., S. 31-32

[3] Ebd., S. 56-57

[4] Ebd., S. 37-38

[5] Ebd., S. 44-45

[6] Ebd., S. 46