Du brauchst ein Ziel #2 Das Jesusgebet

Im vorherigen Artikel beschrieb ich, wie notwendig es ist, ein (spirituelles) Ziel vor Augen zu haben. Du erinnerst dich: für den heiligen Benedikt ist das Ziel der Christen, die Gottesschau und die Gottesliebe.

Die Methode

Wer also ein Ziel kennt, braucht einen Weg. Wer methodisch denkt, braucht eine Technik, eine Methode. Genau solch ein Tool, will ich dir heute vorstellen: Es handelt sich um das Jesus-Gebet oder auch Herzensgebet genannt. Es ist die Antwort auf die biblische Anweisung „Betet ohne Unterlass“ (Thes 5,17).

Was ist das?

Beim Jesusgebet rezitiert der Beter zunächst laut, später mehr innerlich folgende Gebetsformel: Jesus, Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner. Man kann auch einfach sprechen: „Jesus Christus“, oder „Herr Jesus“. Die Anrufung kann aber ebenso gut aus dem einzigen Wort JESUS bestehen.

Die Hoffnung des blinden Bartimäus

Die Gebetsformel geht dabei auf den biblischen, blinden Bettler Bartimäus zurück, der da rief: Jesus, Sohn Davids, erbarme Dich meiner (Mk 10,47). Der Name JESUS kann laut ausgesprochen oder still gedacht werden. Beide Male handelt es sich um eine wirkliche Anrufung des Namens. Im ersten Fall mündlich, im anderen Fall rein innerlich.[1]

Die Haltung

Die beste Haltung ist jene, die die größte körperliche und innere Sammlung verschafft. Bei mir persönlich ist das die Haltung des Liegens. Ich setze meine Schlafmaske auf, um mich zu entspannen und äußerliche Reize zu reduzieren, und verharre im stillen Gebet vor Gott.

Vom Kopf ins Herz

Es ist beim Jesusgebet wichtig, vom Kopf ins Herz hinabzusteigen, vom Denken ins Gefühl. Und „dieses Gefühl kann Liebe sein, Sehnsucht, Traurigkeit – wie auch immer sich unser Herz ausdrücken will.“[2] Denn im Gebet hören wir hin, auf die Stimme Gottes. Dieses Lauschen ist in sich selbst bereits Gebet.

Das Herz ist ein heiliger Raum, wo wir hingehen können, um mit [Gott], unserem Geliebten zu sein. Deshalb braucht es eine Haltung der Empfänglichkeit, eine weibliche Eigenschaft, die schließlich zum Zustand der Hingabe an Gott führt.[3]

Mit dem Herzen lauschen

Vielleicht hörst Du die Stimme Gottes in dir sprechen. Ganz klar und deutlich erkennst du den Willen Gottes. Doch bedenke: Gott spricht nicht oft mit lauter Stimme oder hämmert an die Tür. Meist ist es vielmehr ein Flüstern, ein leises Erahnen.

Den Verstand zur Ruhe kommen lassen

Oft ist es ein stürmender Geist, der uns mit lautem Lärm der Gedanken der Sorge und Angst überfordert. Doch in der Stille des empfänglichen Gebetes, dem Ruhegebet, wird Gott unmittelbar zur Seele sprechen.

Nichts erzwingen

Es braucht eine klare Willensäußerung, an Gott zu glauben und sich in seine Gegenwart zu stellen. Und genauso verhält es sich auch mit dem Jesusgebet. Ein erster Schritt Richtung Gottesschau ist der erklärte Wille des Menschen sich aufzumachen, Gott zu suchen. Doch eine mystische Erfahrung geschieht mehr durch göttliche Gnade, als durch menschliche Anstrengung. Und doch braucht es auch den menschlichen Eifer. Aber eben im richtigen Verhältnis. Die hl. Teresa von Avila sagt das so:

Doch durch eigene Anstrengung können wir nicht hineinkommen. Seine Majestät muss uns hineinbringen und dann Selbst in die Mitte unserer Seele eintreten …[4]

Ohne Wunsch sein

Der Geist des Beters kann nur dann völlig aufmerksam sein, wenn er ohne Wunsch ist. Das geht sogar so weit, ohne Wunsch, mit Gott zu sein. Für Meister Eckhart ist das wahre spirituelle Armut:

Solange du noch irgendein Verlangen hast, den Willen Gottes zu erfüllen und irgendeine Sehnsucht nach der Ewigkeit Gottes, solange bist du nicht wirklich arm.[5]

Innere Wandlung

Es ist klar, dass mit einer solchen wirkungsvollen Gebetspraxis eine innere Wandlung der Person einhergeht. Llewellyn Vaughan-Lee, ein Sufimystiker  beschreibt das so:

Mit dem anfänglichen mentalen Repetieren beginnt ein Prozess, bei dem der Name tief nach innen unsere Psyche geht. Da er in den Tiefen unseres Wesens wirkt, verändert er unseren mentalen, emotionalen und sogar physischen Körper – alles wird mit der Energie des Namens erfüllt … [Das] ständige Wiederholen [des Namens] geht tief ins Unbewusste, wo [der Name] läutert und umwandelt … und uns aus Komplexen und Mustern der Konditionierung [befreit].[6]

Der Name Jesu heilt

Im Christentum werden Menschen durch den Namen Jesu geheilt, und die Kraft seines Namens findet sich in Jesu Versprechen beim Letzten Abendmahl: „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet, wird er es euch in meinem Namen geben“ (Joh 16,23).[7]

Beten mit einer Gebetskette

Noch ein Tipp zum Schluss: Wie die 108 Perlen der buddhistischen Mala, gibt es auch in der christlichen Tradition eine Gebetskette. Sie nennt sich im Griechischen Komboskini, russisch Tschotki und besteht aus mehreren Knoten.  Bei der Wiederholung der Formel des Jesusgebet, lässt du einfach den nächsten Gebetsknoten in deiner Hand weiterwandern, solange bis du am Ende angekommen bist.

Die Beziehung zu Gott ist nicht immer leicht

Wie in jeder Beziehung, so gibt es auch in der Beziehung mit Gott, Höhen und Tiefen. Genau wie eine menschliche Beziehung, kann auch die Beziehung zu Gott darunter leiden, wenn wir die Beziehung zu ihm vernachlässigen. Habe also Geduld. Lass das Jesusgebet langsam wachsen. Fange an, den Namen Jesu zehnmal zu wiederholen. Und steigere dich dann. Es gibt hier keinen Grund zur Hektik.

Die Frucht des Gebets

Das Jesusgebet wird dich auf deinem spirituellen Weg hin zu Gott voranbringen und viele, die es praktizieren berichten,

dass [sie] mit Hilfe des Jesus-Gebetes einen Weg gefunden [haben], der ihnen – nach langem Suchen – die Möglichkeit eines geistlichen Lebens inmitten der Welt auftat und sie dabei selbst von Grund auf verwandelte.[8]

Auf Felsen gebaut

Du wirst stärker werden und Gott wird in dir zur festen Burg, so wie es im Matthäusevangelium steht: „Als ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein; denn es war auf Felsen gebaut“ (7,25).

Mit diesem zweiten Teil des Artikels Du brauchst ein Ziel, habe ich dir eine Methode gezeigt, wie du dein spirituelles Ziel – wie immer es auch aussehen mag – erreichen kannst.

Ich wünsche ich Dir eine lebendige Gebetspraxis. Das Jesusgebet – bedacht, geduldig und mit Muße gebetet, kann ein wichtiger spiritueller Anker im Leben werden. Und das schöne ist doch: es ist eine Praxis, die geübt werden kann. Ein christliches Mantra, sozusagen.

Lass Dich inspirieren!

Foto: Nancy Bauer/Shutterstock.com

Quellen:

[1] Jungclaussen, Emmanuel: Das Jesusgebet: Eine Anleitung zur Anrufung des Namens Jesus, 8. Aufl., Regensburg, Deutschland: Verlag Friedrich Pustet, 2008, S. 20.

[2] Vaughan-Lee, Llewellyn: Das Herzensgebet, 1. Aufl., Freiburg im Breisgau, Deutschland: Arbor Verlag, 2013, S. 23.

[3] Vaughan-Lee, 2013, S. 23.

[4] Teresa von Ávila: Interior Castle, übers. Von E. Allison Peers, Fifth Mansion, Kap. 1, S. 103, zitiert nach Vaughan-Lee, 2013, S. 57.

[5] Meister Eckhart: Predigten, Nr.16: Von der Armut, zitiert nach Vaughan-Lee, 2013, S. 63.

[6] Vgl. Vaughan-Lee, 2013, S. 76-78

[7] Vgl. Vaughan-Lee, 2013, S. 79.

[8] Jungclaussen, 2008, S. 16.

Literaturverzeichnis:

Jungclaussen, Emmanuel: Das Jesusgebet: Eine Anleitung zur Anrufung des Namens Jesus, 8. Aufl., Regensburg, Deutschland: Verlag Friedrich Pustet, 2008.

Vaughan-Lee, Llewellyn: Das Herzensgebet, 1. Aufl., Freiburg im Breisgau, Deutschland: Arbor Verlag, 2013.