Du brauchst ein Ziel #1

„Die nächste Ausfahrt, in zweihundert Metern links abbiegen …“, so sprach die nette Frauenstimme gestern aus meinem Navi im Auto. Na klar, ich hatte ja auch zuvor ein Ziel eingegeben. Ohne Ziel, kein Weg. Das leuchtet jedem ein. Mir kommt es so vor, dass wir als Christen oft ein Ziel vermissen. Deshalb dieser Beitrag, der dir ein Bewusstsein für dein ganz persönliches, spirituelles Ziel geben wird. 

Ziel des Hindu und Buddhisten

Im Buddhismus und Hinduismus kennt jeder Gläubige das Ziel. Der Buddhist will ins Nirvana gelangen, ein Zustand frei von Tod und Wiedergeburt. Nirvana, so lehrte Buddha, ist aber kein ferner Zustand, sondern kann bereits zu Lebzeiten erfahren werden. Nirvana und wir sind in keinem Moment voneinander getrennt. Jederzeit ist es möglich, bei der noch so banalen Handlung zu erwachen. Dieses Erwachen ist die Hauptmotivation vieler Buddhisten. Deshalb auch die Meditation. Das ist die buddhistische Methode, Nirvana zu erreichen.

Der Hinduist würde sage: Mein Ziel ist Moksha. Ein Zustand des Geistes, der mit Brahman, dem Göttlichen verschmolzen ist. Die Seele Atman geht ganz in Brahman, im Göttlichen auf. So strebt auch der Hinduist nach dem Ende des Leidens, nach dem Ende von Tod und Widergeburt. Der Hinduist strebt nach wahrer Glückseligkeit, ohne Grund, ohne Bedingung: bedingungsloses Glück: Das Sat-Chit-Ananda. Ist sich der Mensch seines wahren Seins (sat) bewusst (chit), so fühlt er jene Glückseligkeit (ananda). Atman taucht ein in Brahman und löst sich darin in Glückseligkeit auf.

Glauben aus Angst?

Was würdest du als Christ sagen, ist das Ziel unseres Glaubens? Was ist das Ziel des Christen? Gar nicht so einfach auf Anhieb zu sagen, oder?

Ich bin mir sicher, viele unserer Vorfahren hätten gesagt: „Ich glaube, weil die Kirche den Glauben als Autorität vorgibt und – falls ich von diesem Heilsweg abkommen sollte – ich in der Hölle lande.“

Das ist natürlich kein richtiges Mindset. Ich sollte nicht aus Angst vor göttlicher Verdammung glauben, sondern aus Überzeugung, dass der Glaube an Christus mich heilt und Gott mich liebt. So heißt es im Römerbrief des Apostel Paulus:

Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! (8,15)

Wir sollen also voller Hoffnung, Glaube und Liebe sein, denn wir sind Gottes Töchter und Söhne. Das ist doch eine viel weisere Sicht, als die mancher unserer Vorfahren. Auch der Apostel Johannes schreibt in seinem ersten Brief:

Furcht gibt es nicht in der Liebe; die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht (1 Johannes 4,18).

Viele Ziele – ein Gott

Dennoch bleibt die Frage nach dem Ziel des Christen immer noch unbeantwortet. Ich glaube, dass es hier viele Antworten geben kann, die alle richtig sein können. Hier einige Anregungen und Beispiele:

Ziel des christlichen Lebens kann sein:

  • in eine lebendige Beziehung zum dreieinigen Gott hineinzuwachsen.
  • Gott von Angesicht zu Angesicht schon zu Lebzeiten schauen.
  • ein weites Herz zu haben.
  • die Liebe Gottes zu erfahren.
  • Jesus Christus nachzufolgen.
  • zu glauben und in schweren Zeiten von diesem Glauben getragen zu werden.
  • oder für die Mystiker unter uns: unio mystica, das Einswerden mit Gott.

Ich ermutige dich, hier selbst nachzudenken, was denn dein Ziel ist. Es kann als Christ wichtig sein, hier eine für dich befriedigende Antworten zu geben.

Der Hl. Benedikt – ein Vorbild in vielerlei Hinsicht

Schauen wir doch mal auf den Heiligen Benedikt von Nursia (um 480–547), den Ordensgründer der Benediktiner. Er hat in seiner Regel bewusst das Ziel, die Messlatte niedrig gehalten, denn er wollte „keine unerfüllbaren Forderungen stellen, damit schwache Brüder nicht verschreckt davonlaufen (vgl. RB 64,19).“[1] Das ist wirklich sehr weise. Denn zu viel Druck erzeugt immer Gegendruck. Und mit Druck ist in der Spiritualität wie in der Kunst oder beim Lernen weniger möglich, als wenn wir uns entspannen.

Benedikt verlangt aber dennoch von seinen Mönchen, dass sie alles einsetzen, um auf dem Weg zu Gott vorwärtszuschreiten. Was ist nun das Ziel des Hl. Benedikts?

Er sagt, dass

der Weg des Mönches anfangs immer ‚eng‘ ist und durch viele Schwierigkeiten führt. Wenn einer davon aber nicht zurückschreckt und mutig weitergeht, dann ‚wird das Herz weit, und er läuft in unsagbarem Glück der Liebe‘ (RB Prolog 49) auf diesem Weg weiter. Wenn er das erreicht, ist der Mensch an einem Höhepunkt des geistlichen Lebens angelangt.[2]

Das ist doch großartig! Auch wir im Christentum kennen also ein Ziel, jene Gipfelerfahrungen, die viele christliche Mystiker und Mystikerinnen gemacht haben, wie Ignatius von Loyola, Theresa von Ávila, und Johanes vom Kreuz, über den ich schon HIER geschrieben habe.

Der Glaube trägt

Es kommt jedoch nicht (nur) auf mystische Erleuchtungen an, sondern es ist vor allem der Glaube, der durch Wüstenzeiten trägt. Ullrich Filler, Pfarrvikar und Autor, beschreibt das wie folgt:

„Mystik“ meint den Bereich von Erfahrungen, die das gewöhnliche Bewusstsein und die verstandesmäßige Erkenntnis übersteigen und eine unmittelbare Erfahrung der göttlichen Wirklichkeit bedeuten. Im Christentum ist sie zunächst eher selten anzutreffen. Das Neue Testament vertritt eine nüchterne Glaubenshaltung: Das Ziel des christlichen Lebens ist nicht, Gott in mystischer Weise zu schauen, sondern liegt darin, nüchtern und wachsam an ihn zu glauben.[3]

Dennoch: Es gibt immer wieder Christen, denen Gott Erfahrungen geschenkt hat (sogenannten Privatoffenbarungen), die unseren Verstand übersteigen. Die Vereinigung mit Gott waren Hildegard von Bingen, Nikolaus von Flüe und Schwester Faustyna bekannt. Und dennoch macht der Mystiker die Erfahrung, dass sich Gott nicht erzwingen lässt.

„Mystik“ stellt eine Ausnahme, keine Regel dar. Für die meisten Christen wird gelten, was der spätere Papst Johannes Paul I. als Bischof einmal […] über das Gebet gesagt hat: ‚Das Beten ist mir ein Opfer. Beten zu Gott, den ich nicht sehe, während meine Sinne all das wahrnehmen, was um mich herum ist. Ich weiß nicht, wie es euch geht. Manchmal kann man Geschmack finden am Beten, aber gewöhnlich ist es eine ermüdende Anstrengung.[4]

Ich finde das nicht deprimierend. Ganz im Gegenteil: wir können als Christen – wenn wir einmal unsere natürlichen Begrenzungen akzeptiert haben – sein, wie wir sind. Es ist nicht notwendig uns verändern zu müssen, anders zu sein, oder mystische Erfahrungen auf Biegen und Brechen machen zu müssen. Wir sind eben keine Buddhisten, die fast schon neurotisch nach Erleuchtung streben (müssen). Wir als Christen sind wie wir sind, haben aber dennoch die Option, eine mystische Erfahrung von Gott geschenkt zu bekommen, als Ausdruck seiner tiefen Liebe und Gnade. Es ist eine Möglichkeit und kein vorgeschriebener Zwang. Das ist doch ein guter Ausgangspunkt!

Gott nahe zu sein, ist mein Glück

Zurück zu Benedikt: Wenn er von einem weiten Herz spricht, dann

verweist er damit auf einen Höhepunkt und Zielpunkt der geistlichen Entwicklung, worauf hin der Mönch mit seinem Kämpfen unterwegs ist: auf den Durchbruch der vollkommenen Gottesliebe und auf die Gottesschau – schon in diesem Leben, [und nicht erst im Jenseits].[5]

Benedikt kennt also neben dem Ziel im Himmelsreich auch eines für das Leben in dieser Welt: das weite Herz, das ihn befähigt Gott zu schauen. Die Gottesliebe, die der Mönch erfährt, lässt sein Herz voller Freude und Glück höherschlagen. Aus dieser Liebe lebt der Mönch. Er wird ein Liebender.[6]

Ein Ziel zu haben ist unerlässlich

Nur wer ein Ziel vor Augen hat und sich dieses immer wieder klarmacht, kann den beschwerlichen Weg hin zu Gott bestehen. Auf dem Weg begegnen uns viele Hindernisse, unser Geist kann sich wie in einem Labyrinth verirren.

Der Apostel Paulus schreibt im Brief an die Philipper:

Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung, die Gott uns in Christus Jesus schenkt (3,13-14).

Paulus scheut keine Mühe, weil er ein geniales Ziel vor Augen hat: eine himmlische Berufung, aus der er handelt. Wer also von einem Ziel überzeugt ist, wird auf seinem Weg bleiben.

Eine geniale Methode

Im nächsten Artikel erwartet dich die Frage: Wie komme ich nun meinem Ziel näher? Welche Methode kann mich meinem Ziel als Christen näherbringen? Doch dazu später.

Jetzt wünsche ich dir jetzt, dass du dein Ziel findest! Schreibe mir gerne, wenn du mir mitteilen willst, was dich in deinem Glauben trägt und auch antreibt.

Wieder gilt: Erfahre selbst! Prüfe alles! Lass Dich inspirieren!

Quellen:

[1] Ruppert, Fidelis: Geistlich kämpfen lernen: Benediktinische Lebenskunst für den Alltag, 3. Aufl., Münsterschwarzach, Deutschland: Vier-Türme-Verlag, 2018, S. 33.

[2] Vgl. Ruppert, 2018, S. 35.

[3] Vgl. Filler, Ulrich: Geschichte einer großen Sehnsucht: Ein Portrait der hl. Schwester Maria Faustyna Kowalska, 5. Aufl., Kißlegg, Deutschland: fe-medienverlag, 2020, S. 22-23.

[4] Vgl. Filler, 2020, S. 27.

[5] Ruppert, 2018, S. 35-36.

[6] Vgl. ebd., S. 37.

Literaturverzeichnis:

Filler, Ulrich: Geschichte einer großen Sehnsucht: Ein Portrait der hl. Schwester Maria Faustyna Kowalska, 5. Aufl., Kissleg, Deutschland: fe-medienverlag, 2020.

Ruppert, Fidelis: Geistlich kämpfen lernen: Benediktinische Lebenskunst für den Alltag, 3. Aufl., Münsterschwarzach, Deutschland: Vier-Türme-Verlag, 2018.